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Weihs

das thal/annette polaroids

Für mein Projekt "Das Thal" habe ich mich mit gut 200jähriger Verspätung auf die Spuren von Annette von Droste-Hülshoff durch das Hönnetal begeben. Vom Gut Rödinghausen ausgehend, dem Ort der Ausstellung, unternahm sie während ihres dreimonatigen Aufenthaltes auf demselben in den Monaten September bis November des Jahres 1824 ausgedehnte Wanderungen in das nahegelegene Hönnetal, zur Burg Klusenstein und zum Felsenmeer in Hemer. Ihre Eindrücke und Erlebnisse wurden u. a. 1841 anonym in dem Buch »Das malerische und romantische Westphalen« mit veröffentlicht. Für meine Serie habe ich diesen roten literarischen Faden aufgenommen und mich ebenfalls auf die Wanderung durch diesen Teil meiner unmittelbaren Heimat gemacht. Konkret habe ich für diese Serien eine meiner alten Polaroid-Kameras wieder »ausgegraben«. Die minimalistische, analoge Technik der Kamera im Zusammenspiel mit altem, überlagertem und abgelaufenem Filmmaterial tritt in einer perfekt digitalen Bilderwelt als ruhender Gegenpol auf. Die Arbeit mit dieser analogen Technik ist sehr experimentell. Während ich den Auschnitt und den Zeitpunkt der Aufnahme durch Drücken des Auslösers festlege, erledigt anschließend der »Sofortbildfilm« den Rest. Je nach verbliebener Fähigkeit der integrierten Chemikalien, Temperatur und Zeitdauer wird das Bild entwickelt – oder auch nicht. Es entstehen Aufnahmen, die durch Fehlstellen und Unschärfe eine ihnen eigentümliche Authentizität erlangen. Durch das Invertieren, also Umkehren der Farben, wie wir es von den analogen SW-und Farbfilmen her kennen, erhalten die Fotografien ihren entgültigen Charakter.
Entstanden sind so fotografische Arbeiten, die den romatischen, mystischen und märchenhaften Erzählungen, die das Hönnetal umgeben, nahekommen.
Geschichten, die auch Annette von Droste Hülshoff sicherlich hier zu hören bekam und eventuell zu neuen Werken anregte.
Gewollt unperfekte Aufnahmen, die mit den Farben spielen und uns herausfordern, das allseits Bekannte neu zu sehen und zu entdecken.

»... – dann an dem Gute Rödinghausen – eine gute Strecke weiter an der majestätischsten Felswand in dem ganzen
Strich dieses Kalksteingebirges, die 200 Fuss Höhe hat, her, und nähern uns so dem Klusenstein. Es ist eine gefährliche
Wanderschaft; das Thal klemmt sich immer wilder und düstrer endlich zur engen Schlucht zusammen, die schmale
Hönne rauscht pfeilschnell unten über kantige Felsbrocken, aufbrodelnd und Streichwellen über den Fussweg
schleudernd, bis endlich aus tiefem Kessel uns das Gebrause und Schäumen einer Mühle entgegen stürmen.
Hier ist die Fährlichkeit überwunden, eine kühne kuppige Felswand springt vor uns auf, drüber ragen die Ringmauern
und Trümmer der alten Burg, aus der ein neueres Wohnhaus wie ein wohlhabiger Pächter einer alten Ritterherrlichkeit hervorlugt. Der Weg führt etwas seitab,
durch‘s Gebüsch, zum Eingange der Höhle, die uns wie ein schwarzes Thor entgegengähnt.«

das thal/annette fotopostkarten

Für die zweite Serie zu dem Projekt »Das Thal« habe ich mich tiefer mit der Geschichte des Hönnetals beschaftigt. Das Tal war und ist nicht nur dieses romatischen Tal, das in unzähligen Reiseberichten erwähnt wird und auf Fotopostkarten verewigt wurde. Sondern es ist auch ein Ort der Kontraste. Auf wenigen Kilometern haben dort die Nutzung des Hönnetals, von der
steinzeitlichen Wohnhöhle über frühindustrielle Eisenverhüttung bis hin zum aktuell kontrovers diskutierten Kalksteinabbau, Spuren hinterlassen und teilweise tiefgreifende soziokulturelle Veränderungen eingeleitet. Das Tal und der namengebende Fluss Hönne, der das Tal durchfließt, hat die Menschen wirtschaftlich verbunden und war jahrhundertelang gleichzeitig
trennendes Element zwischen den politisch-religiösen Herrschaftsgebieten. Später dann, während des 2. Weltkrieges, mussten Zwangsarbeiter im gleichen Tal unter menschenverachtender Rücksichtslosigkeit weitläufige Stollensysteme für das
geheime Reichs-rüstungsvorhaben »Schwalbe 2« in den Felsen vorantreiben. Die Spuren dieser Arbeiten sind heute noch teilweise auffindbar. Nach dem 2. Weltkrieg diente das Tal den Stahlwerken im Ruhrgebiet werktags als Rohstoffquelle für Kalk und den Arbeitern als Erholungsort am Wochenende. Das Tal war und ist abseits aller (literarischer) Romantik auch ein gestaltendes Element zwischen den Extremen, die dort stets aufeinander gestoßen sind: Grenze und Öffnung, Trennendes und Verbindendes, Freiheit und Gefangenschaft, Romantik und nationaler Wahn, Ökologie und Ökonomie.
Die besondere Topografie und das Geschehene sind es auch, die auf das Selbstverständnis und die Sichtweisen der Menschen, die im und am Tal Leben Einfluss, genommen haben. Mit der Verwendung von alten SW-Fotopostkarten (hier AGFA PORTRIGA PK 112, im klassischen Weltformat) schlage ich eine Brücke zwischen (Alltags)literatur in Anlehnung an Annettes Werk und meiner fotografischen Arbeitsweise. Herausgekommen sind dabei sehr kontrastreich entwickelte Fotografien, die teilweise stark an typografische Arbeiten erinnern. Die harten Hell-Dunkel-Kontraste deuten die bereits beschriebenen (Interessens)Konflikte an, denen das Tal in seiner langen Geschichte ausgesetzt war. Keine romatisch-kitschigen Erinnerungsansichten, wie wir sie von Postkarten üblicherweise gewohnt sind, sondern scharf getrennte monochrome Farbflächen, die eine andere Erzählweise
ermöglichen und – rückseitig - Raum zur Interpretation anbieten.

Blumentod

Kinderspiel (Blumentod)
»Wie sind meine Finger so grün,
Blumen hab´ ich zerrissen;
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen.
Sie neigten sich in mein Angesicht
wie fromme schüchterne Lider,
Ich war in Gedanken, ich achtet´s nicht
Und bog sie zu mir nieder,
Zerriß die lieben Glieder
In sorgenlosem Muth.
Da floß ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder;
Sie klagten nicht, sie weinten nicht,
Sie starben ohne Laut,
Nur dunkel ward ihr Angesicht,
Wie wenn der Himmel graut,
Sie konnten´s mir nicht ersparen,
Sonst hätten sie es gethan;
Wo bin ich hingefahren
In trübem Sinneswahn?
O thöricht Kinderspiel,
O schuldlos Blutvergießen!
Gleicht`s auch dem Leben viel,
Laßt mich die Augen schließen,
Denn was geschehen ist, ist geschehn,
Und wer kann für die Zukunft stehn?«

 

Aus:
Levin Schücking, 1879, Gesammelte Schriften von Annette Freiin von Droste-Hülshoff - Erster Theil - Lyrische Gedichte, S. 155,
Buchdruckerei J. G. Cotta, Stuttgart

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