Obst | Annette hoch 10
Annettes Lunge
Da Annette von Droste-Hülshoff zu früh auf die Welt kam, litt sie an den Folgen einer nicht ausgebildeten Lungenreife. Atemnot, häufiger Husten, Enge-Gefühl in der Brust, allgemeine Schwäche waren ihre ständigen Begleiterinnen. An einer schweren Lungenentzündung starb sie vermutlich auch. Das auf mehr als hundert Jahre altem Leinen montierte Objekt aus Watte, Garn und Notenpapier verweist auf die geschädigten Lungenbläschen und die damit verbundenen Einschränkungen, die dazu führten, dass die Dichterin zwangsläufig viel ihrer Lebenszeit im Bett verbringen musste. Dennoch war sie zeitweise sogar zu Gesangdarbietungen in der Lage.
Mit Annettes Augen: Zehn kleine Rasenstücke
Eine weitere Folge der zu frühen Geburt war ihre Kurzsichtigkeit. Sie musste sehr nah an die Dinge herangehen, um sie betrachten zu können, wenn sie ihr Lorgnon nicht zur Hand hatte. In meiner Arbeit habe ich versucht, mich in eine derartige Situation hineinzuversetzen und nachzuvollziehen, was und wie sie die Dinge in der Natur, die sie – neben dem Schreiben – begeistert erforschte, von Nahem betrachtet und wahrgenommen haben könnte. Dafür habe ich zehn zehn mal zehn Zentimeter große Areale auf dem Rasen in unserem Garten gewählt, auf ich die Plexiglasscheiben legte, um darauf eins zu eins durchzuzeichnen, was ich wahrnahm. Da eine mimetische Darstellung – wie dies beispielsweise Albrecht Dürer mit einem Rasenstück versuchte – auf diese Art nicht möglich ist, entstanden abstrakte Zeichnungen. Insofern können die Arbeiten, die auf diese Weise entstanden sind, sowohl als fiktive Spurensicherung als auch als ästhetische Forschung verstanden werden.
Annettes Fundstücke 4.0
Nicht nur in der Umgebung von Gut Rödinghausen, im Hönnetal, war Annette gern mit ihrem Geologenhammer unterwegs, immer auf der Suche nach besonderen Steinen oder darin möglicherweise verborgenen Schätzen. Was werden ihre Nachfolger*innen wohl in Zukunft finden? Welche Lebensformen werden bis dahin verschwunden sein, welche neuen die Erde bevölkern? Und welche davon werden zukünftige Hobbyarchäologen*innen vielleicht entdecken, welche der Funde als Schätze empfinden?
Die fiktiven Fundstücke und die teils leeren Gläser erinnern einerseits an die Hobby-Geologin Annette von Droste-
Hülshoff und laden andererseits zum Fantasieren von
Antworten auf diese Fragen ein – Um so einen ganz anderen Schatz zu finden, nämlich den Schatz der Kreativität in sich selbst.
Annettes kreative Zellen
Kreativität äußert sich in vielerlei Phänomenen. Das kreative, schriftstellerische Werk Annette von Droste-Hülshofffs zählt eindeutig dazu, denn Denken und Dichten sind schöpferische Prozesse. Die für das menschliche Auge unsichtbaren Abläufe im Gehirn, dessen Zellen sich in ständiger Bewegung befinden und dabei neue Verknüpfungen eingehen, die dazu führen, dass ein Vers entsteht, dass eine Hand mit ihren Fingern sich so bewegt, dass eine Geschichte niedergeschrieben werden kann, faszinieren mich. In meinen digitalen Zeichnungen und Animationen geht es mir nicht um eine realistische Darstellung dieser Prozesse, sondern um deren Transformierung in eine kreative Form, die das Fantastische an den neurobiologischen, transformativen, plastischen Prozessen sichtbar macht.